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Die Katastrophe im Golf von Mexiko und die gefährdete Meeresfauna

Schon einige Male hat es in der Erdgeschichte Naturkatastrophen gegeben, die sich absolut verheerend auf die Unterwasserwelt der Ozeane ausgewirkt haben. Paläontologisch sind solche Ereignisse teilweise gut überliefert - ganze Faunen sind plötzlich aus dem Meer verschwunden. Bekanntes Beispiel war die Karnische Krise in der der Triaszeit vor etwa 225 Mio Jahren, von der besonders Flachwasserorganismen wie Korallen, Stachelhäuter, Bryozoen, Algen und Schwämme, aber eben auch die Ammoniten, die etwas tiefere Meereszonen bewohnten, betroffen waren. Doch in der neueren Erdgeschichte hat es wohl nicht viele andere Katastrophe jener Dimension gegeben wie die der Explosion des BP-Bohrturmes Deepwater Horizon vor dem Mississippi-Delta im Golf von Mexiko. Das durch Menschen verursachte Unglück trifft auch die beliebtesten und charismatischsten Großtiere der Meere wie Meeresschildkröten, Mantas, Delfine - und Walhaie. Was genau ist geschehen?

Am 20. April 2010 kam es an der Bohrplattform infolge schwerer technischer Versäumnisse (Versagen des Blowout-Preventers) zu einem so genannten Blowout, Ausbruch des unter hohem Druck stehenden Rohöls, das normalerweise unter hunderten und tausenden Metern undurchlässiger Gesteinsschichten unter der Erdoberfläche eingesperrt ist, bei dem die Plattform in Brand geriet und zwei Tage später unterging. Das ausströmende Öl - die genaue Menge werden wir wohl nie erfahren, da sie ein entscheidender Punkt in der Verschleierungstaktik des Konzerns und der US-Regierung ist - führte zur schwersten Ölpest und Umweltkatastrophe dieser Art in der bisherigen Geschichte.

Seit dem 16. Juli ist der Ölausfluss mit einem temporären Verschluss zwar gestoppt, und die Verantwortlichen versuchen eine Rückkehr zur Normalität zu signalisieren (der Präsident badete im Meer...). Doch nichts wäre naiver als dieser Propaganda Glauben zu schenken. Das große und langfristige Sterben im Meer hat gerade erst begonnen... Für uns und die Medien unsichtbar.

Die Deepwater Horizon wurde 2001 in Dienst gestellt. Das besondere an diesem Bohrturm war die Möglichkeit Ölbohrungen selbst in 1500 Meter tiefen Gewässern durchzuführen. Genau das macht das Ausmaß Katastrophe besser verständlich. Denn in der Regel waren bisherige Ölkatastrophen Ereignisse der Meeresoberfläche, wo der bakterielle Abbau des Öls und dessen "Verwitterung" abhängig von der Temperatur schneller abläuft. Noch nie zuvor war die Tiefsee und die gesamte Wassersäule davon so massiv getroffen.

Um die Katastrophe medienwirksam - aber dennoch nur scheinbar - zu bekämpfen griff BP zu Millionen Litern von Corexit. In einem bis dahin nicht gekanntem Umfang. Das ist der Markenname eines von der Nalco Company hergestellten Dispergators und Strandreinigungsmittels zur Bekämpfung von Ölverschmutzungen. Was genau macht dieses für das Ökosystem an und für sich schon giftige "Lösungsmittel"? Es löst das sichtbare Öl, die für die PR verheerenden Ölteppiche an der Meeresoberfläche, in kleinste Öltropfen auf. Diese sinken dann allmählich in die Tiefe und verteilen sich in der Wassersäule. Rein optisch wird ein Erfolg erzielt. Doch ökologisch ist die Maßnahme mehr als umstritten: Nicht nur hat man zusätzlich zum Öl einen weiteren giftigen Fremdstoff ins Meer geleitet, und zwar gleich Millionen von Litern, sondern auch die so entstandene noch giftigere Öl-Dispergator-Mischung überall im Meer verteilt - von der Oberfläche bis in die Tiefsee. Zusätzlich zum aus Flugzeugen versprühten Corexit hat BP dieses Mittel auch direkt an der Ölaustrittstelle in die Tiefsee eingeleitet.

Es ist seit Jahren bekannt - und leider wird das Bedrohungsszenario immer konkreter und massiver (man denke an den Film Plastic Planet) - dass sich im Meer zwischenzeitlich viel mehr Mikro- und Nanopartikel aus Kunststoff finden als Plankton. Zusätzlich dazu ist jedes einzelne Lebewesen auf dieser Erde, einschließlich Walhaie und uns Menschen, mit den im Wasser gelösten Weichmachern aus Plastik belastet. Berühmt-berüchtigt ist diesbezüglich speziell die Stoffgruppe der Phtalate.

Filtrierer wie Mantas und Walhai sind diesen menschenverursachten schädlichen Einflüssen voll ausgesetzt. Nun kommt das Öl und das verwendete Corexit dazu. Die US-Medien haben auf dem (scheinbaren) Höhepunkt der Katastrophe Luftaufnahmen von ölverschmutzten und -verätzten Meeresschildkröten, Delfinen, Walen und sogar Walhaien gezeigt. Jetzt sieht man kaum noch solche Bilder, und gerade das ist das Heimtückische daran. Die Menschen werden zum Irrglauben verleitet, dass das Schlimmste überstanden ist. Das auf Jahre und Jahrzehnte hinausgezögerte langsame Vergiften und Sterben hat aber erst angefangen. Für uns unsichtbar, in der Tiefe des Meeres. Von keiner Kamera begleitet.

Die Abermillionen Tonnen Öl sind nicht einfach weg. Freilich, ein Teil, speziell die leicht flüchtigen Anteile, sind in die Atmosphäre entwichen und haben sich damit - wie BP und die Regierung sich das sehnlichst gewünscht hatten - tatsächlich "in Luft aufgelöst". Doch Rohöl gehört zu den kompliziertesten Naturstoffgemischen der Erde überhaupt. Es besteht aus vielen Tausenden Bestandteilen (manche Quellen nennen sogar 17.000). Viele von ihnen lösen sich unsichtbar im Wasser und sind besonders gefährlich, andere bleiben in verschiedenen Formen erhalten und sind nicht minder heimtückisch. Es gibt zwar eine Reihe von ölabbauenden Mikroorganismen im Meer, doch speziell bei den niedrigen Temperaturen und dem hohen Druck der Tiefsee funktioniert der Abbau sehr langsam. Auch in den Sedimenten bleibt das Öl über Jahrzehnte erhalten wie der Fall der Exxon Valdes zeigt.

Eine langfristige Vergiftung des Ökosystems Meer, von den mikroskopisch kleinen Mikroorganismen bis zum Walhai, ist die Folge. Die gesamte Wassersäule von 1500 Metern ist davon betroffen. Strömungen an der Oberfläche, aber auch in der Tiefsee, werden das durch Menschen produzierte Giftgemisch aus Ölbestandteilen und Corexit in sichtbarer und noch mehr unsichtbarer Form in andere Teile des Weltmeeres transportieren. Der friedliche Riese Walhai wird weiter seine Kreise ziehen und Tag für Tag Nahrung aufnehmen. Das können nach neuesten Erkenntnissen bis zu drei Kilogramm pro Stunde sein. Der harmlose Filtriere wird nicht verstehen können, dass ein großer Teil davon ungesund und todbringend ist. Wir aber wissen es. Wir sollten auf keinen Fall nach dem Wunsch der Großkonzerne denken und handeln: Aus den Augen, aus dem Sinn... Es ist verblüffend, dass selbst Katastrophen dieser Dimension medial so kurzlebig sind.

Robert Hofrichter
mare-mundi.org